Die Erniedrigung des Fabrikarbeiters zu einer Maschine

Aus phenixxenia.org
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Xx left white.png Xx toc white.png Xx right white.png
Xx left white.png

Wahrlich, es ist die Erniedrigung des Fabrikarbeiters zu einer Maschine, welche mehr als irgend ein anderes Übel der Zeit die Masse der Völker allerwärts zu vergeblichem, folgewidrigem, verderblichem Kampfe um eine Freiheit verleitet, deren Natur sie sich selbst nicht erklären können. Den allgemeinen Aufschrei gegen den Reichtum und den Adel preßt ihnen nicht der Druck des Hungers oder der Stachel gekränkten Stolzes ab. Diese tun viel und haben zu allen Zeiten viel getan; aber die Grundlagen der Gesellschaft waren nie so erschüttert, wie sie es heutzutage sind. Nicht das ist es, daß die Menschen schlecht ernährt sind, sondern daß sie keine Freude haben an der Arbeit, womit sie ihr Brot erwerben und den Reichtum daher als einziges Mittel zur Freude ansehen. Nicht das ist es, daß sie die Verachtung der oberen Stände schmerzt, sondern daß sie die Selbstverachtung nicht ertragen können; denn sie fühlen, daß die Art der Arbeit, zu welcher sie verurteilt sind, in Wahrheit erniedrigend ist und sie geringer als Menschen macht. Niemals haben die oberen Stände soviel Mitgefühl und Liebe für die niederen gehabt, wie jetzt und sind doch niemals so von ihnen gehaßt worden: denn vor alters war die Trennung zwischen dem Adel und den Armen lediglich eine durch das Gesetz erbaute Mauer; jetzt ist es ein Unterschied in der Höhe, eine Kluft zwischen hoch und niedrig auf dem Felde der Menschheit, und in der Tiefe weht Pesthauch. Ich weiß nicht, ob je ein Tag kommen wird, an dem die Natur der rechten Freiheit erkannt wird, und die Menschen einsehen, daß einem andern zu gehorchen, für ihn zu arbeiten, ihm oder seiner Stellung Ehrerbietung zu beweisen, keine Sklaverei ist. Es ist oft die beste Art der Freiheit, - Freiheit von Sorge. Der Mann, der zu einem sagt, "Gehe hin", und er geht, und zu einem andern "Komme her", und er kommt, hat in den meisten Fällen ein stärkeres Empfinden des Zwangs und der Schwierigkeit, als der ihm gehorcht. Die Bewegungen des einen hemmt die Last auf seiner Schulter; den andern hält der Zügel auf seinen Lippen zurück: es gibt kein Mittel, die Bürde zu erleichtern; aber unter dem Zügel leidet nicht, wer nicht gegen ihn beißt. Einem andern Ehrfurcht bezeigen, uns und unser Leben ihm zur Verfügung stellen, ist keine Sklaverei; oft ist es der edelste Zustand, in dem ein Mensch in dieser Welt leben kann. Es gibt freilich eine knechtische, d.h. vernunftwidrige oder selbstsüchtige Ehrfurcht, es gibt aber auch eine edele, d.h. vernünftige und liebende Ehrfurcht; ein Mensch ist nie so edel, wie wenn er auf diese Weise ehrfürchtig ist; ja sogar wenn das Gefühl die Grenzen der Vernunft überschreitet und zu Liebe wird, erhebt es den Menschen. Wer hatte in Wirklichkeit mehr Sklavennatur in sich, - der irische Landmann, welcher gestern im Hinterhalt auf seinen Gutsherrn lauerte, den Lauf seiner Flinte durch die knorrige Hecke gedrängt, - oder jener Lehnsmann, der vor zweihundert Jahren für seinen Herrn sein eigenes Leben und das Leben seiner sieben Söhne hingab? Zu allen Zeiten und allerorts haben die Menschen einander Ehrerbietung erwiesen und Opfer gebracht, ohne zu klagen, ja mit Freuden. Hunger, Gefahr und Schwert, alles Übel und alle Schande sind willig für Könige und Herren ertragen worden; denn alle diese Hingabe adelte die Menschen, welche sie darbrachten, nicht weniger, als die sie empfingen, und die Natur gab den Antrieb und Gott den Lohn des Opfers. Aber zu fühlen, wie ihre Seele danklos in ihnen verwelkt, ihr ganzes Sein in ungekannte Tiefe versunken zu finden, einem Maschinenhaufen zugerechnet zu werden, mit seinen Rädern aufgezählt und seinen Hammerschlägen beigemessen zu werden, das heißt die Natur nicht, - das segnet Gott nicht, - das kann die Menschheit nicht auf lange ertragen.

Wir haben letzthin die "große Erfindung der Zivilisation: Arbeitseinteilung" viel durchdacht und vervollkommnet; nur geben wir ihr einen falschen Namen. Recht gesprochen ist es nicht die Arbeit, welche geteilt wird, sondern die Menschen: - Geteilt in bloße Abschnitte von Menschen -‚ zerbröckelt in kleine Bruchstücke und Krumen von Leben; so daß das kleine Stückchen Geist, daß in einem Menschen bleibt, nicht ausreicht, eine Stecknadel oder einen Nagel zu machen, sondern sich dadurch erschöpft, daß es eine Nadelspitze und einen Nagelkopf macht. Es ist wahrlich gut und wünschenswert, viele Stecknadeln an einem Tag zu machen; wenn wir aber nur sehen könnten, mit welchem Kristallsand ihre Spitzen geschliffen werden, - Sand von Menschenseelen, der stark vergrößert werden muß, ehe man erkennen kann, was er ist - so würden wir denken, daß doch auch Verlust dabei sein könnte. Und der große Schrei, der sich lauter als das Gebläse ihrer Hochöfen aus all unseren Fabrikstädten erhebt, ertönt darum, weil wir dort alles fabrizieren, ausgenommen Menschen; wir bleichen Baumwolle und härten Stahl und läutern Zucker und formen Töpferwaren; aber einen einzigen lebendigen Geist zu erhellen, zu stählen, zu läutern oder zu bilden, kommt uns nie als etwas Vorteilhaftes in den Sinn. Allem Bösen, zu welchem jener Schrei die Massen aufreizt, kann nur auf einem Wege vorgebeugt werden: nicht durch Lehren oder Predigen; denn sie lehren, heißt nur ihnen ihr Elend zeigen und ihnen predigen, wenn wir nicht mehr tun als predigen, heißt ihrer spotten. Es kann nur entgegengewirkt werden durch ein rechtes Verständnis von seiten aller Stände dafür, welche Art der Arbeit den Menschen gut ist, sie erhebt und glücklich macht durch ein entschlossenes Aufopfern aller Gemächlichkeit, Schönheit oder Billigkeit, die nur durch Erniedrigung des Arbeiters erlangt werden kann; und durch ebenso entschlossene Nachfrage nach den Erzeugnissen und Erfolgen gesunder, veredelnder Arbeit.

Xx right white.png
Xx left white.png XX toc white.png Xx right white.png

Quelle

The Stones of Venice, John Ruskin, 1851-1853 (Übersetzung von Maria Kühn, 1910).