Selbstbetrug

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Der bei weitem größere Teil allen Leidens und Verbrechens, das sich augenblicklich im zivilisierten Europa findet, rührt ganz einfach von Leuten her, die diese allgemein bekannte unleugbare Wahrheit nicht verstehen, - nicht wissen, daß Lohn oder Wohlstand auf ewig durch die Gesetze des Himmels und der Erde mit beherzter Arbeit verbunden ist; sondern hoffen, dieses immerwährende Lebensgesetz auf irgend eine Weise zu umgehen oder es aufzuheben und sich zu nähren, wo sie keine Furche zogen, warm zu haben, wo sie nicht webten.

Ich wiederhole, fast all unser Elend und Verbrechen entsteht aus diesem einen Mißverständnis. Es ist Naturgesetz, daß ein gewisses Maß von Arbeit nötig ist, ein gewisses Maß von Gut gleichviel welcher Art hervorzubringen. Wenn du Wissen begehrst oder Speise oder Freude, so mußt du darum arbeiten. Aber die Menschen anerkennen dieses Gesetz nicht und suchen es zu umgehen und hoffen ihr Wissen, ihre Nahrung und ihr Vergnügen umsonst zu bekommen, und in diesem Bestreben mißlingt es ihnen entweder, sie zu erlangen und sie bleiben unwissend und elend, oder sie erreichen sie, indem sie andere zu ihren Gunsten arbeiten lassen, und dann sind sie Tyrannen und Räuber. Ja, schlimmer als Räuber. Ich bezweifle und bestreite den Fortschritt dieses Jahrhunderts in vielen der Menschheit nützlichen Dingen nicht im geringsten; aber es scheint mir ein sehr dunkles Zeichen, daß wir mit soviel Gleichgültigkeit auf die Unehrlichkeit und Grausamkeit des Strebens nach Reichtum sehen. In dem Traume Nebukadnezars waren es nur die Füße, die teils aus Eisen, teils aus Ton bestanden; viele von uns werden jetzt so grausam in ihrer Habgier, daß es scheint, es wäre bei uns das Herz teils Eisen, teils Ton.

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Quelle

The Two Paths, John Ruskin, 1859 (Übersetzung von Maria Kühn, 1910).