Alles ist sinnvoller als Krieg und Aufrüstung (BSW)
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- BSW-Kandidatin Anja Titze setzt sich für Friedenspolitik ein
- Mit Vermögenssteuer „Chancengerechtigkeit für alle" finanzieren
- Von Alexander Wenisch, RNZ, 18.2.2025.
Anja Titze mag Eis. Darum hat sie sich zum Gespräch mit der RNZ den "Schmelzpunkt" ausgesucht, wohin sie ab und zu mit ihren Kindern geht - die Familie wohnt um die Ecke. Titze bestellt sich zwei Kugeln: Stracciatella und Macadamia-Karamell, doch im Laufe des Gesprächs schmilzt das Eis immer mehr, weil sie mit Enthusiasmus die Fragen beantwortet und kaum dazu kommt, zu löffeln. Die 49-Jährige tritt in Heidelberg für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) an. Das Interview wurde geführt vor Donald Trumps aktuellem Vorstoß zu Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine.
Frau Titze, warum engagieren Sie sich für das BSW, das kaum Chancen hat, in den Bundestag zu kommen? |
In den meisten Umfragen stehen wir bei fünf bis sechs Prozent, in einigen bei vier. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir es in den Bundestag schaffen werden, denn wir sind die einzige Partei, die sich für die Mehrheit der Bevölkerung einsetzt.
Was ist der politische Kern für Sie? |
Das konsequente Eintreten für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Wir leben wieder in einer Zeit massiver Militarisierung. Wenn Verteidigungsminister Boris Pistorius sagt, wir müssten bis 2029 so weit sein, dass wir junge Männer und Frauen haben, um das Land zu verteidigen - das macht mir Angst.
Das hängt natürlich in erster Linie mit der Ukraine zusammen: Krieg wieder in Europa, das war ein Schock. Richtig. Wir haben jetzt etwas mehr als tausend Tage Krieg. Es sind sehr wahrscheinlich Zehntausende Menschen umgekommen. Glauben Sie wirklich, die Menschen in der Ukraine oder in Russland wollen diesen Krieg? Bislang hat sich mit den Waffenlieferungen aus dem Westen das Grauen nur verlängert.
Das BSW plädiert für Friedensverhandlungen. Aber wer soll Putin an den Tisch bringen? |
Die Europäer offenbar nicht, die haben bisher nichts bewirkt, wären aber eigentlich dazu aufgefordert. Krieg ist ein Geschäftsmodell. In der Ukraine geht es im Kern - wie in vielen Kriegen - um Rohstoffe, und Unternehmen wie Rheinmetall profitieren natürlich von den Waffenlieferungen. Der Krieg in der Ukraine verursacht aber auch soziale Kosten bei uns. Da wären die 37 Milliarden Euro an Hilfe für die Ukraine zu erwähnen. Viel Geld, das an anderer Stelle besser investiert wäre. Zusätzlich hat die Ampel-Regierung noch 100 Milliarden „Sonderschulden" gemacht für die Bundeswehr.
Hieße Frieden in der Ukraine nicht, das Land aufzugeben? Putin würde einen Teil bekommen. Und sehen Sie nicht die Gefahr, dass er damit nicht satt wäre? |
Das sagen die Nato-Länder gebetsmühlenartig. Aber wenn Putin tatsächlich einen Nato-Staat angreifen würde, würde der Bündnisfall eintreten. Das wird sich Putin nicht trauen. Die Nato ist militärisch zehnmal stärker als Russland.
Wo wäre Ihrer Ansicht nach das Geld besser investiert? |
Alles ist sinnvoller als Krieg und Aufrüstung. Wir müssen in unser Bildungswesen investieren, in unser Gesundheitssystem, in sozialen Wohnungsbau, in die marode Infrastruktur. Da ist überall riesiger Handlungsbedarf. Dass Schulerfolg und Zukunftschancen eines Kindes vom Geldbeutel der Eltern abhängen, haben die Pisa-Studien immer wieder gezeigt. Nichts ist passiert. Das ist ein Skandal. Wir brauchen endlich bundesweit Ganztagsschulen und wir brauchen eine verlässliche Ferienbetreuung, am besten kostenlos, damit auch Frauen in Vollzeit arbeiten können und nicht später in Altersarmut abrutschen.
Wie wollen Sie das bezahlen? |
Dass zehn Prozent der Bevölkerung 60 Prozent des Vermögens besitzen, das kann nicht richtig sein. Und vieles davon ist vererbt - ohne eigene Leistung. An diese hohen Vermögen müssen wir mit einer vernünftigen Vermögenssteuer und einer gerechten Erbschaftssteuer ran. Damit können wir mehr Chancengerechtigkeit für alle finanzieren. Ich glaube, die Leute haben bemerkt, dass da etwas zu tun ist.
Dominiert wird der Wahlkampf derzeit von der Asyldebatte. Auch BSW-Mit-glieder haben kürzlich beim umstrittenen Asylgesetz mit CDU und AfD gestimmt. Hat Sie das überrascht? |
Ich nehme in der Bevölkerung ein Bedürfnis wahr, das Thema Migration anzusprechen. Im Moment wird nur diskutiert, wer mit der AfD abgestimmt hat. Das ist nicht zielführend. Der Inhalt der Anträge ist für das BSW entscheidend. Und selbst der Letzte muss doch inzwischen begriffen haben, dass Deutschland nicht jedes Jahr eine Großstadt aufnehmen kann. Aber wer in den vergangenen Jahren auf Integrationsprobleme aufmerksam gemacht hat, der wurde sofort als AfD-nah und rassistisch abgestempelt - selbst in meinem wissenschaftlichen Umfeld.
Auf einem BSW-Plakat steht „Unser Land wünscht sich weniger Migration". Das ist etwas freundlicher formuliert, könnte aber auch von der AfD sein. |
Ich finde das Plakat auch nicht optimal, aber wir müssen doch erkennen, dass Deutschland die hohen Zahlen nicht verkraften kann, wenn gleichzeitig 700.000 Wohnungen fehlen, Lehrer fehlen und die Infrastruktur bröckelt. Diese bestehenden Probleme werden durch zu hohe Migration verschärft. Und wer das nicht sieht, wohnt meistens in wohlhabenden Vierteln. Bei der Migrationspolitik unterscheiden wir uns sehr von der AfD, die unter dem Stichwort Remigration einfach alle, auch die, die hier schon jahrzehntelang verwurzelt sind, ohne Wenn und Aber abschieben will. Am Recht auf politisches Asyl gibt es bei uns keinen Zweifel.
Aber? |
Jedoch ist zu kritisieren, dass Flüchtlinge derzeit unterschiedlich behandelt werden. Einerseits sind da die Urkaine-Flüchtlm-ge, die volle Sozialleistungen bekommen. Und andererseits gibt es Flüchtlinge, die jahrelang in Asylverfahren hängen, gerne arbeiten würden, das aber nicht dürfen. Diese Ungerechtigkeit konnte mir bislang niemand schlüssig erklären.
Deutschland überaltert und schrumpft. Wir brauchen junge, arbeitsfähige Menschen, gerade auch, um langfristig unser Sozialsystem aufrechterhalten zu können. Wir brauchen also Zuwanderung. |
Um unser Sozialsystem aufrechterhalten zu können, wäre es sinnvoll, mehr Geld auszugeben, um in die Bildung und Ausbildung unserer Kinder zu investieren. Im Übrigen müssten wir alles daran setzen, die Menschen mit Schutzstatus vernünftig ins Bildungssystem und in den Arbeitsmarkt zu integrieren, damit sie nicht mehr auf staatliche Unterstützung angewiesen sind und eine Perspektive in unserem Land erhalten.
Anja Titze (49) ist aufgewachsen in Großenhain im Ost-Erzgebirge. Sie hat in Dresden, Leipzig, Toulouse und Den Hag Romanistik und Jura studiert und in Rotterdam im Bereich Rechts-Ethnologie promoviert. 2005 war sie für sechs Monate zur Feldforschung in Guatemala. Nach Aufenthalten in Reims, Frankreich und Würzburg kam sie 2013 nach Heidelberg. 2019/20 war Titze kulturpolitische Referentin beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Seit 2021 ist sie Referentin für Gleichstellungsfragen an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Uni Heidelberg. Sie hat drei Kinder und lebt in der Heidelberger Altstadt. Sie kam als politische Quereinsteigerin zum Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), war vorher noch in keiner anderen Partei aktiv. Auf der Landesliste des BSW steht sie auf Platz 6. |