Das Hamburger Theater Axensprung
Oliver Hermann im Interview mit Friedrich E. Becht über Axensprung: Die Gründung, den Namen und das Programm im Mai 2024
Hallo, Oliver Hermann.
Vielen Dank für die Zeit, die sie sich genommen haben. Ich habe mir die Website ihrer Bühne „Axensprung“ zu Gemüte geführt, aber auch darüber recherchiert, um mich für unser Gespräch vorzubereiten. Viele Fragen aber bleiben.
Oliver Hermann, „Theater Axensprung“: Kein Problem. Ich bin gerade ganz entspannt und nutze die Zeit hier in der Sonne mit einem Kaffee. Also, es ist alles prima. Schießen Sie los mit Ihren Fragen.
Ja, wunderbar. Zunächst die Frage, woher kommt ihr Theater? Mit anderen Worten: was hat Sie inspiriert, das Ensemble „Axensprung“ zu gründen mit seiner doch sehr klaren politischen Ausrichtung?
Oliver Hermann: Also, wir sind in unserer Truppe fünf SchauspielerInnen, drei Männer, zwei Frauen, und haben vor kurzem unser zehnjähriges Jubiläum gefeiert. 2014 haben wir uns gegründet.
Meine Kollegen und ich haben in verschiedenen Konstellationen zusammen Theater gespielt und kannten uns schon einige Jahre z.B. vom Hamburger „Jedermann“ Theater in der Speicherstadt. Wir sind alle Hamburger und leben und arbeiten dort. Daher kannten wir uns sehr gut und sind befreundet.
Gab es so etwas wie einen Impuls, eine Initialzündung?
Oliver Hermann: Im Jahre 2014, da jährte sich zum hundertsten Mal der Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Einer meiner Kollegen und ich, wir saßen etwa ein Jahr zuvor abends bei Bier und Bratwurst am Fleet zusammen und kamen auf den Ersten Weltkrieg zu sprechen und sagten, Mensch, das ist ein wichtiges Thema und so spannend, da müsste man was zu machen.
Und dann haben wir ein bisschen geguckt, was ist an den Bühnen angekündigt, was ist geplant und haben festgestellt, dass so gut wie nichts in dieser Richtung geplant war. Was Anlass für uns war, Überlegungen anzustellen, die in dem Entschluss endeten, wir machen ein Stück genau zu diesem Thema. Und dann hatte ich Postkarten, Feldpostkarten meines Urgroßvaters, ein Konvolut, das meine Großmutter mir vor ihrem Tod vermacht hat. Etwa 100 an der Zahl von meinem Urgroßvater, der als Soldat in Ersten Weltkrieg gekämpft hat und kurz vor Schluss gefallen ist.
Ein wahrer Schatz an Stoff aus dem privaten Umfeld, der Sie berührt hat.
Oliver Hermann: In der Tat, die Erlebnisse meines Urgroßvaters im Feld haben mich tief berührt. Auch habe ich immer schon daran gedacht, etwas damit zu machen. Diese Karten, Bilder und Unterlagen wirkten auf mich wie ein Vermächtnis.
Daraus wurde schließlich unsere Drei-Mann-Produktion, basierend auf dem expressionistischen Roman „Heeresbericht“ von Edlev Köppen, der darin eigene Kriegserlebnisse verarbeitet hat.
Eine unglaublich berührende Geschichte und von der Wucht her ähnlich wie Remarques „Im Westen nichts Neues“, aber viel weniger bekannt.
Sie und ihre Mitstreiter bewiesen Mut: mit einem selbst geschriebenen Stück und neu gegründeten Ensemble zu debütieren. Wie entwickelte sich ihre Idee weiter?
Oliver Hermann: Lassen Sie es mich vorwegnehmen: Dieses Stück, das wir in einer sehr speziellen Konstellation und mit einem sehr speziellen Konzept auf die Bühne gebracht haben, hat unglaublich Furore gemacht: Wir sind mit einer kleinen Produktion, die eigentlich nur für Hamburg geplant war, innerhalb weniger Monate in der gesamten Republik gebucht worden.
Kaum zu glauben. Nennen Sie uns Gründe für den raschen Erfolg.
Oliver Hermann: Wir sind als Beispiel von deutschen Botschaften eingeladen worden, weil wir in Berlin gespielt hatten im Roten Rathaus und haben dann eine Übersetzungsförderung bekommen vom Kulturreferat des Auswärtigen Amtes, sind dann nach Riga eingeladen worden, nach Luxemburg.. Wir haben in Flandern gespielt, wir waren in Brüssel, wir waren in Lyon. Wir landeten tatsächlich mit diesem kleinen Stück, das gar nicht groß geplant war, ja, wie soll ich sagen, einen Überraschungserfolg.
Eine ungeheure Resonanz, das darf man festhalten. Sie und ihr Team haben offensichtlich einen Nerv getroffen, die Leute mitgenommen und in einer sehr wirksamen Weise berührt.
Oliver Hermann: Man sollte auch wissen, dass alle Beteiligten an der politischen Historie sehr interessiert waren und sind. Noch heute setzen wir uns mit historischen Fakten von Demokratie, Diktatur, Gewalt und Krieg auseinander. Als Interessierte und Faszinierte an diesen Themen haben wir dann gesagt, dann machen wir weiter, sozusagen auf dem Zeitstrahl.
Und was folgte auf den Ersten Weltkrieg?
Oliver Hermann: Die November-Revolution 1918 /19. Da haben wir ein Stück darüber gemacht und so hat sich folgerichtig die Zeit weitererzählt. In der Weimarer Republik angekommen, haben wir gesagt, der Zeitraum ist viel zu groß, um ihn an einem Abend erzählen zu können, machen wir eine Trilogie draus. Und dann hatten wir eine gute Idee, im Fernsehen würde man von einer Miniserie sprechen, wir konzipierten fünf durchgehende Figuren, die sich durch alle drei Stücke dieses Zeitraums von 1919 bis 1933 ziehen. Den dritten und letzten Teil der Trilogie „Ruin“, „Weimar“, „Die geschaffte Republik“ haben wir im letzten Jahr rausgebracht. Den haben wir als Kulturbeitrag zum Tag der Deutschen Einheit, der letztes Jahr vom Bundesland Hamburg hier ausgetragen wurde, als offizieller Kulturpartner gespielt. Und so sind wir sozusagen ganz langsam, aber sicher so etwas wie Spezialisten für deutsche Demokratiegeschichte geworden.
Richten wir den Blick auf das Hier und Heute und lassen Sie uns zu ihrer aktuellen Produktion kommen, mit der Sie aktuell bei uns im Badischen, genauer gesagt in Bruchsal und Rastatt gastieren: „Freiheit! 1848“
Oliver Hermann: Vor ungefähr drei, vier Jahren bekamen wir eine Anfrage vom Bundesarchiv in Koblenz. Der Leiter und Präsident dort ist ein Fan unserer Gruppe. Er hat uns schon mit unterschiedlichen Produktionen eingeladen. Er beauftragte uns, ein Stück zu entwickeln zum 175. Jahrestag der März-Revolution 1848-49. Bei uns ist er damit in offene Türen eingelaufen. Wir fanden das unglaublich spannend und empfanden es als Ehre und Freude, für das Bundesarchiv arbeiten zu dürfen, zuvor hatte es das noch nicht gegeben. Tatsächlich haben wir in Kooperation mit dem Archiv das Stück gemeinsam entwickelt. Wir arbeiten intensiv und von Beginn an mit den Profihistorikern zusammen und bemühten uns, historische Faktizität und fiktive Handlungsstränge miteinander zu verweben.
Im Fernsehen würde man das Format sicher Dokudrama nennen. Trifft diese Bezeichnung zu?
Oliver Hermann: Im Grunde machen wir, wenn Sie so wollen, Dokudrama auf der Bühne. Also mit historisch verbrieften Fakten und Figuren. Wie in fast jedem Stück haben wir auch hier historische Figuren. In „Freiheit! 1848“ kommt der Struve vor, da kommt der Hacker vor, da kommt König Friedrich Wilhelm von Preußen vor und und, und. Hecker selbstverständlich, Robert Blum, solche bekannten Namen, aber eben auch weniger bekannte. Das verweben wir mit fiktiven Figuren und versuchen, das Ganze zu einer Gesamtgeschichte zu machen.
Eine Besonderheit Ihrer Bühne ist neben dem Inhalt und dem politisch dezidierten Auseinandersetzen mit der deutschen Demokratiegeschichte, dass sie als Theatertruppe kein eigenes Haus haben. Sie sind, wenn Sie so wollen, eine Vaganten-Truppe, so wie man es früher hatte, die mit dem Esel und Wagen durch die Lande zogen.
Oliver Hermann: Ja, haben wir in der Tat nicht. Wir sind alle in Hamburg ansässig, wir proben hier. Wir bringen jedes Stück grundsätzlich immer in Hamburg raus. Und danach gehen wir besser gesagt, ziehen wir durch die Welt. Und wer Interesse an uns hat, der bucht uns. Und ja, wir sind spezialisiert darauf, wir sind „das Theater, das zu Ihnen kommt“, was ja auch unser Motto ist. Wir sind darauf spezialisiert, an Orten zu spielen, die eben nicht per se unbedingt ein Theater sind. Selbstverständlich spielen wir gern auch in „richtigen Theatern“ in Anführungszeichen. Aber das ist kein Muss.
Was sagen Sie, wenn jemand sagt, wir haben keinen Raum, meinetwegen mal ein Museum oder eine Gedenkstätte, wir machen aber eine große Ausstellung oder ein Symposium zum Thema und möchten Sie gern als kulturelles Begleitprogramm buchen? Geht das ganz ohne Bühne? Wie kriegen Sie das hin?
Oliver Hermann: Dann fragen wir immer: "Ja, was haben Sie denn für Räume?" Die meisten sagen dann: "Na ja, wir hätten einen größeren Raum, der hat so und so viel Quadratmeter." Okay, dann fragen wir: "Hat der Raum eine Bühne?" Viele haben eine Bühne, manche aber nicht. Dann sagen wir: "Okay, gelingt es Ihnen mit diesen flexiblen Podesten, da brauchen wir so und so viel Stück an der Zahl, eine Bühne von der Größe x mal x zu konzipieren? Und ist es möglich, den Raum zu verdunkeln?" Wenn das gewährleistet ist, Strom braucht man nicht erfragen, den gibt es überall, dann sind schon alle Kriterien erfüllt, dass wir bei Ihnen spielen können. Denn alles Weitere bringen wir mit. Wir haben das Licht, wir haben den Ton, wir haben die Projektionstechnik und wir kommen mit einem relativ kleinen Lieferwagen an, da passen wir fünf rein und ein kleines Bühnenbild. Und dann verzaubern wir den Raum sozusagen für knapp zwei Stunden in ein Theater und bauen es wieder zurück und verschwinden wieder.
Verstehe ja, so einfach geht das.
Oliver Hermann: Manchmal schon.
Übrigens, was mich und sicher unsere Leser sehr interessiert: Wie kamen Sie zu dem etwas ungewöhnlichen Namen für ihr Theater: „Axensprung“ mit diesem x nach dem A anstatt Achse mit ch?
Oliver Hermann: Das ist recht einfach oder auch nicht, ganz wie man es sieht: In den 90er-Jahren habe ich in einer Fernsehserie bei Sat1 gedreht. Da habe ich einen Arzt gespielt. Und in der Filmbranche gibt einen Fachbegriff den sogenannten Achsensprung. Davon spricht man, wenn beim Film die Kamera eine gedachte Aufnahmeachse bei einer Szene überspringt. Durch diese Unachtsamkeit wechselt später auf der Leinwand oder der Mattscheibe unvermittelt die Blickrichtung. Was den Zuschauer stark irritiert. Diesen Fehler bei der Aufnahme heißt eben Achsensprung. Und wir haben dann überlegt, okay, wir springen auch so ein bisschen über die Achse, wir machen so ein bisschen was Ungewöhnliches, wir sind nicht so eine ganz konventionelle Theatertruppe. Irgendwie passt dieses Wort, es gefiel uns. Und dann habe ich mit unserer Grafikerin darüber gesprochen.
Die sagte: "Wisst ihr was? Lasst uns das Wort ein bisschen verballern. Ich baue euch ein schönes Logo, wo wir das X zentral setzen und die anderen Buchstaben klein daneben und ich mache euch so einen Schweif." Wir haben gesagt: "Wow, das Ding sieht toll aus, das brennt sich ein." Und so war unser Name geboren, mitsamt dem Logo, das sich sehr einprägt, das wir mittlerweile auch auf unseren T-Shirts haben und auf unseren Mützen tragen.
Aktuell spielen Sie in Bruchsal im Theater „Exil“ und danach in Rastatt. Wurden Sie vom Theater Exil in Bruchsal eingeladen oder gab es einen besonderen Anlass?
Oliver Hermann: Aus gegebenem Anlass. Ja, das ist tatsächlich so. Alle Gastspielorte sind Orte, die aktuell etwas zur Badischen Revolution machen. Nicht nur in Bruchsal, sondern auch in Rastatt. Dort ist ja auch der Showdown der Badischen Revolution gewesen, da wo in der Bundesfestung der Aufstand niedergeschlagen wurde und dann die Demokratie erwürgt wurde und starb. Deswegen dort. Und im Juli spielen wir ja auch noch in Offenburg, wo 1847 ein denkwürdiges Treffen der Demokraten stattfand mit Hecker und Struve und so weiter. Und so wurden wir angefragt, ob wir gastieren würden, sozusagen als kulturelles Begleitprogramm zu den ganzen historischen Ereignissen, die dort gefeiert werden. Was uns sehr gefreut hat.
Herr Hermann, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Auch ich danke Ihnen.
Das Interview führte Friedrich E. Becht.
Oliver Hermann ist Schauspieler, Autor, Sprecher. Er lebt und arbeitet in Hamburg. Er gastierte an zahlreichen deutschen Theatern. Präsenz in diversen TV-Produktionen und beim „Hamburger Jedermann“. Seit vielen Jahren produziert und spielt er in Theaterprojekten mit kritisch-historischem Ansatz. 2013 gründete er das Axensprung Theater. Die neue Produktion des Axensprungtheaters feierte am 9. November 2022 im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde die Deutschlandpremiere. Sie setzt sich mit entscheidenden Ereignissen und Personen aus der Zeit zwischen März 1848 und Juli 1849 auseinander. Die Bundesarchiv-Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte in Rastatt hat das Projekt initiiert und gefördert. In der Inszenierung wogt es hin und her: Radikale Demokraten proben den Aufstand. Liberale Bürger wollen Freiheit haben aber Angst vor Anarchie, überforderte Monarchen sind hin- und hergerissen zwischen Zugeständnissen und brutalem Gegenschlag. Und mittendrin die Nationalversammlung, in der heftig um eine Verfassung gestritten wird: Wie soll die deutsche Nation aussehen? Mit welchen Freiheiten und für wen? Soll es eine Republik oder konstitutionelle Monarchie werden? Durch das Stück unter der Regie von Erik Schäffler ziehen sich drei Handlungsstränge, die in Form einer Parallelmontage miteinander verwoben werden. In historischen und selbst komponierten Liedern werden die Ereignisse und Protagonisten, aber auch Phänomene wie die europäische Dimension der Volksaufstände musikalisch eingebettet. „Freiheit! 1848 - Ein europäischer Traum“: 16. Mai, 19.30 Uhr, Bruchsal, Exil Theater e.V., Am Alten Güterbahnhof 12, 76646 Bruchsal, info@exiltheater.de, Tel. +49 7251 3929410, www.exiltheater.de Die Bundesarchiv-Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegung in der deutschen Geschichte bietet zwei weitere Vorstellungen des Theaterstücks an. Am 17. und 18. Mai in der Reithalle Rastatt. Telefon 030/18665-1133 oder Mail: erinnerung@bundesarchiv.de, info: www.rastatt.de. Der Eintritt ist frei! Eine Anmeldung ist erforderlich. |