Der Systemkampf seit Fukushima (III): der Versuch, alte Strukturen zu re-etablieren (aus ISBN 978-3451309267): Unterschied zwischen den Versionen
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Nach der erfolgreichen Photovoltaik-Bremse hat sich das alte Energiesystem wieder dem Kampf gegen Windmühlen zugewandt, genauer gesagt gegen Onshore-Wind. | Nach der erfolgreichen Photovoltaik-Bremse hat sich das alte Energiesystem wieder dem Kampf gegen Windmühlen zugewandt, genauer gesagt gegen Onshore-Wind. | ||
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Aktuelle Version vom 29. Januar 2014, 12:49 Uhr
Nach der erfolgreichen Photovoltaik-Bremse hat sich das alte Energiesystem wieder dem Kampf gegen Windmühlen zugewandt, genauer gesagt gegen Onshore-Wind.
Damit sind wir in der fortgeschrittenen Phase des Kampfes der Systeme. Es geht nicht mehr nur um Erneuerbare Energien gegen fossile Energien, sondern auch um Erneuerbare gegen Erneuerbare.
Warum?
Offshore-Stromerzeugung scheint auf den ersten Blick die Lösung fast aller Probleme. Die Windräder stehen weit draußen im Meer. Man kann riesige Mengen Strom erzeugen. Zumal der Wind dort immer kräftig weht. Die schwarz-gelbe Merkel-Regierung sieht Offshore als wichtigen Teil der Energiewende – wie übrigens vor ihr auch schon Schwarz-Rot und Rot-Grün. Bis 2020 sollen 1.500 bis 2.500 Windräder auf See mit einer Leistung von 10.000 Megawatt laufen. Das entspricht der Leistung von vier bis fünf Atomreaktoren. 2030 sollen es 25.000 Megawatt sein. Anfang 2013 waren aber erst 76 Windräder und 320 Megawatt Offshore-Windleistung am Netz.
Zum Vergleich: Die Windkraft-Leistung an Land lag Ende 2012 bei rund 31.300 Megawatt.
Wenn ein Frankfurter, Stuttgarter oder Münchener eine Kilowattstunde Strom in der Nordsee kauft, sollte das – so die allgemeine Meinung – recht günstig sein, denn auf dem Meer weht vermeintlich mehr Wind als an Land. Doch wie kommt die Energie in den Süden? Ein langer, teurer und derzeit noch nicht einmal vorhandener Transportweg wäre zu bewältigen. Bei Flaute könnte man nicht liefern, und die Energie aus windreichen Stunden könnte nicht gespeichert werden – und wenn doch, dann nur zu hohen Kosten. Das kann nicht zum Erfolg führen – nicht nur wegen der fehlenden 4.500 Kilometer Hochspannungstrassen.
Ich weiß, dass es Verfechter der Energiewende gibt, die überzeugt sind, dass wir beides brauchen: Onshore und Offshore.
Ich sehe das anders: Diese Art der Stromerzeugung ist zwar erneuerbar und sauber, doch sie ist zentral, verbraucherfern, schwierig in der Handhabung und damit teuer. Vor allem ist sie ebenso wie die Netze und die Speicher ein Geschäftsbereich für Großkonzerne. Offshore-Anlagen sind für Genossenschaften und Kommunen nicht finanzierbar, im Normalfall nicht einmal für Stadtwerksverbünde. Um es auf den Punkt zu bringen: Offshore-Windkraft-Förderung ist teure Förderung der Großkonzerne unter Ausschluss der Bürger. Also die Fortsetzung der alten Energie-Oligarchie. „International wird sich allenfalls Seewind in Küstennähe durchsetzen, was aber in Deutschland wegen des Wattenmeers nicht infrage kommt“, schreibt der Verbraucherschützer Holger Krawinkel in einer Analyse der Verbraucherzentrale Bundesverband. Je schneller der Ausstieg aus dem Offshore-Ausbau vereinbart werde, umso geringer würden die negativen Folgen etwa im Hinblick auf die Kosten ausfallen.
Und die Arbeitsplätze, um die sich insbesondere Erwin Sellering, der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern sorgt? Das ist verständlich, aber zu kurz gedacht.
Zunächst handelt es sich bei Offshore gerade einmal um 18.000 Arbeitsplätze in ganz Deutschland (2012). Was aber bisher überhaupt nicht bedacht wird: Auch in Mecklenburg-Vorpommern können viel mehr Arbeitsplätze entstehen, wenn der Strom für etwa 30 Prozent der Offshore-Kosten an Land produziert wird. Der Grund: Viele energieintensive Firmen werden sich in Zukunft da ansiedeln, wo der Wind am stärksten weht und sie sich mit einer direkten Leitung ohne Verluste preiswert selbst versorgen können.
Echte Freunde der Energiewende werfen nun ein, man müsse den Konzernen doch wenigstens die Perspektive Offshore anbieten, damit sie sich nicht bis zum letzten Blutstropfen am fossil-atomaren System festbeißen. Was hat etwa der baden-württembergische staatlich gelenkte Atomkonzern EnBW nach dem Ende des atomaren Zeitalters für eine Perspektive, wenn er nicht wenigstens ein paar Windparks an der Küste betreiben kann? Das klingt zunächst plausibel, ist es aber nicht. Wir sind in einem Systemkampf, in dem nur einer übrig bleiben kann. 2015 soll das nächste AKW abgeschaltet werden, und ab da werden die Großkonzerne um jeden Meiler kämpfen, mit allen Tricks und mit aller Macht. So wie sie jetzt schon den Stromtrassenbau für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versuchen.
Nach dem Netzentwicklungsplan von 2012 sollen rund 2.800 Kilometer neue Stromtrassen gebaut werden. Auf den ersten Blick scheinen diese Nord-Süd-Stromverbindungen zwingend notwendig. Die meisten Atomkraftwerke stehen im Süden Deutschlands, die führenden Bundesländer für Windstromproduktion liegen im Norden.
Doch wir wissen aus Analysen von Wetterdaten: Windflauten in Norddeutschland gehen häufig mit starkem Wind in Süd- und Südwestdeutschland einher. Wenn wir dort gezielt Anlagen zubauen, verstetigen wir die Erzeugung und stabilisieren die Netze.
Und das Binnenland hat einen weiteren Vorteil – die Stetigkeit des Winds: Wir brauchen daher hier weniger Netzausbau und Ausgleichsenergie – zum Beispiel Speicher – als an den norddeutschen Spitzenstandorten. Dort weht der Wind zwar im Durchschnitt stärker, aber er frischt permanent auf und ab – Gift für die Netze. Die Formel „Windenergie nur in Norddeutschland“ ist daher falsch. Vielmehr hilft eine ausgewogene Verteilung von Windenergie in ganz Deutschland, die Systemkosten zu minimieren.
Im Übrigen erreichen moderne Schwachwindanlagen schon bei mittelmäßigen Windverhältnissen die volle Auslastung. Schon an Standorten mit 6,25 m /s mittlerer Windgeschwindigkeit werden Jahresvolllaststunden von mehr als 4.000 möglich.
Doch so einfach ist es nicht: Die Stromnetze in Deutschland sind ein häufig unterschätzter Machtfaktor. Durch den Besitz der Netze haben die vier großen Konzerne viele Jahre ihre Macht abgesichert. Um möglichst hohe Gewinne zu erzielen, haben sie sich aber nicht um die Wartung der Netze gekümmert. Weshalb das Stromnetz überaltert und teilweise fehleranfällig ist.
Der Versuch der EU, Stromproduktion und Netze durch gesetzliche Vorgaben in getrennte Hände zu legen, ist gescheitert. RWE hat für die Netze die Tochtergesellschaft Amprion gegründet, Vattenfall hat 50Hertz. Nur Eon hat seine Netze tatsächlich verkauft an den niederländischen Staatskonzern Tennet. Mittlerweile gibt es eine Bundesnetzagentur, die den Ausbau der Netze planen soll.
Doch die Konzerne haben eigene Pläne, wie eine Studie des BUND ergab.
Demnach arbeiten sie darauf hin, künftig mit überdimensioniert ausgebauten Netzen – selbstverständlich von der Allgemeinheit finanziert – vermehrt Kohlestrom von Norden nach Süden zu leiten. Die prognostizierten Strommengen aus Kohlekraftwerken für das Jahr 2022 liegen mit fast 250 Terawattstunden bis zu 100 Terawatt stunden über den aktuellen Annahmen in den Energieszenarien der Bundesregierung. Das würde zu einem Mehrausstoß von etwa 90 Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2022 führen.
Warum hilft ein überdimensionierter Netzausbau den alten Konzernen? Weil dadurch der Einspeisevorrang der Erneuerbaren weniger zum Tragen kommt. Gibt es mehr und größere Netze, kann auch Braunkohlestrom jederzeit ungehindert fließen. Dann müssen Kohlekraftwerke auch dann nicht vom Netz genommen oder heruntergefahren werden, wenn es genug erneuerbaren Strom gibt. Der Plan der Konzerne: volle Pulle weiter Kohlestrom produzieren und im Ausland verkaufen. Das ist zwar ökonomisch für sie logisch, konterkariert aber das Ziel der Energiewende, die Stromproduktion künftig kohlendioxidarm oder gar -frei zu machen.
Der Wiesbadener Wirtschaftsprofessor Lorenz Jarass, Netzexperte und Berater der Regierung, sieht zwar ebenfalls die Notwendigkeit zur Verstärkung bestehender Leitungen. Doch die Netze dürften nicht nach dem Richtwert Jahresspitze ausgebaut werden. Ein überdimensionierter Netzausbau schade der Energiewende, weil dadurch nicht das Stromnetz optimiert werde, sondern der Kraftwerkseinsatz. Die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung wären damit ad absurdum geführt.
Und alles auf Kosten der Bürger. Die derzeitige Netzplanung diene neben der besseren Auslastung von fossilen Kohlekraftwerken möglicherweise auch dem Ziel, neue Kohlekraftwerke bauen zu können, fürchtet der BUND. So lägen die Prognosen der Netzbetreiber zur Auslastung von Braunkohlekraftwerken mit 8.000 Volllaststunden im Jahr 2022 nicht nur deutlich über dem heutigen Durchschnittswert, sondern auch über dem, was technisch für die existierenden Kraftwerke leistbar sei.
Im Zusammenhang mit der indirekten Begründung neuer Kohlekraftwerke wird auch regelmäßig darauf verwiesen, dass ja Speicher für Wind- und Solarstrom fehlten. Deshalb brauche es Kohlekraftwerke. So lange, bis die Speicher entwickelt seien.
Doch erstens braucht man umso weniger Speicher, je verbrauchernäher man Strom produziert. Und zweitens kommen technologische Entwicklungen nur voran, wenn es einen Markt und einen Bedarf gibt und zudem die anfangs hohen Kosten gefördert werden. Das heißt: Die Technologien zur Speicherung wie auch zur Produktion und Verteilung von Erneuerbarer Energie wird es dann geben, wenn sie gebraucht werden. Werden zur Grundlastsicherung in der nächsten Zeit doch wieder Kohlekraftwerke gebaut, kann es keine Speicherentwicklung geben, weil Speicher dann keinen Markt haben.
Es gibt einen entscheidenden Punkt, der hinter vielen Argumenten des alten Systems steht, warum die Energiewende gebremst werden müsse: Die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien ist schwankend. Bei einer Windflaute speisen Windräder zum Beispiel keinen Strom ein, bei Windgeschwindigkeiten von mehr als 13 Metern pro Sekunde, also bei Sturm, arbeiten sie mit voller Leistung. Das passt zu Gaskraft-, aber nicht zu Kohlekraftwerken, die als Grundlastkraftwerke konzipiert sind. Wenn der Anteil der Erneuerbaren die Grenze von 35 Prozent überschreitet, müssen die fossilen Kraftwerke so häufig heruntergefahren werden, dass sich ihre Auslastung nicht mehr rechnet.
Das ist zwar im Sinne der Energiewende, aber eben nicht im Sinne der Konzerne. Denn es geht den Konzernen und ihren Lobbyisten darum, möglichst lange mit Kohlekraftwerken Strom zu produzieren. Bevor es zu spät ist – nicht für das Klima oder die Zukunft der Gesellschaft, sondern für sie.
Wenn ein neues Kohlekraftwerk einmal läuft, dann läuft es. Es produziert auf viele Jahrzehnte hinaus Geld für den Konzern und klimaschädliche Emissionen für den Planeten. Jetzt entscheidet sich unsere Energieversorgung und unser Beitrag zum globalen Klimaschutz für die kommenden 40 Jahre. Es geht darum, alte Kohlekraftwerke im nächsten Jahrzehnt abzuschalten. Doch wodurch werden wir sie ersetzen – durch neue Kohlekraftwerke der Großkonzerne?
Oder durch Bürgerstrom?